Gesetzliche Grundlage Rechtsvorschriften rund um das „Neutralitätsgebot“

Das Neutralitätsgebot ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen Bildungssystems. Hier haben wir das dem Neutralitätsgebot zugrunde liegende gesetzliche Regelwerk aufgearbeitet.

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Allgemeine Rechtsgrundlagen

Das staatliche Neutralitätsgebot gehört zu den wichtigsten Grundprinzipien unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Es ist ein elementares Kennzeichen freiheitlich-rechtsstaatlicher Ordnungen und hebt sich fundamental von antidemokratischen, totalitären Systemen ab. Seinen Rechtsgrund findet es in den Artikeln 3, 20 und 21 des Grundgesetzes (GG). Daraus geht hervor, dass Staatsorgane weder zugunsten noch zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf beziehungsweise über Zeiten des Wahlkampfes hinaus wirken dürfen (Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien). Neutralität gegenüber allen Parteien ist demnach ein Wesensmerkmal aller Verwaltungsarbeit im demokratischen Rechtsstaat, ein Fundament unserer Demokratie.

Für die schulische Praxis bedeutet bereits diese Vorgabe, dass weder das Kultusministerium noch die Landesschulbehörde, ihre Mitarbeiter sowie die Lehrer an den Schulen zugunsten oder zulasten einer politischen Partei im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit oder ihrer Schularbeit/Unterrichtstätigkeit wirken dürfen. Wann eine Verletzung der Neutralitätspflicht vorliegt, lässt sich nur im Einzelfall und nach sorgfältiger Prüfung der konkreten Vorgänge/Aussagen und ihrer Umstände bestimmen. Eine solche Prüfung wird durch die Landesschulbehörde vorgenommen. Unabhängig davon gibt es auf Basis der Rechtsvorschriften und vergangener Beschwerden Anhaltspunkte, wann Verhaltensweisen mit dem Neutralitätsgebot mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht vereinbar sein dürften. Dazu gehören z. B.:

  • plumpe, d. h. unsachliche und abwertende Lehreräußerungen über eine Partei im Unterricht,
  • Hetze, d. h. das Schüren von Hass gegen eine spezifische Partei und ihre Mitglieder,
  • Aufrufe, eine bestimmte Partei nicht zu wählen,
  • die Duldung von Transparenten, Schriftzügen, das Tragen von Kleidungsstücken (von Lehrern) mit Parolen gegen eine spezifische Partei,
  • Aufrufe zu Demonstrationen gegen eine spezifische Partei,
  • Auslage oder Verteilung von Flyern, Broschüren, Publikationen etc., in denen einseitig und/oder unsachlich gegen eine spezifische Partei argumentiert wird.

Für den Politik-Unterricht (in Niedersachsen Politik/Wirtschaft, im weiteren Sinne auch Geschichte, Werte und Normen, Religion, Deutsch etc.) gelten neben Bestimmungen des Grundgesetzes noch weitere Rechtsvorschriften.

Niedersächsisches Schulgesetz

Das Niedersächsische Schulgesetz regelt in § 3 Freiheit des Bekenntnisses und der Weltanschauung. Dort heißt es:

Freiheit des Bekenntnisses und der Weltanschauung

(1) Die öffentlichen Schulen sind grundsätzlich Schulen für Schülerinnen und Schüler aller Bekenntnisse und Weltanschauungen.
(2) In den öffentlichen Schulen werden die Schülerinnen und Schüler ohne Unterschied des Bekenntnisses und der Weltanschauung gemeinsam erzogen und unterrichtet. In Erziehung und Unterricht ist die Freiheit zum Bekennen religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zu achten und auf die Empfindungen Andersdenkender Rücksicht zu nehmen.“

Die Neutralität aller niedersächsischen Schulen ergibt sich aus dem aus dem Erlass „Besuche von Politikerinnen und Politikern in öffentlichen Schulen“ (RdErl. d. MK v. 21.10.2020 – 36.3-81 704 – VORIS 22410).

Bestimmung 2.2:

„Die Schule ist zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Die Lehrkraft hat deshalb stets darauf zu achten, dass die Sachverhalte im Unterricht insgesamt ausgewogen dargestellt werden. Die Schule hat dafür zu sorgen, dass bei den Einladungen, die im Laufe eines Jahres ausgesprochen werden, keine demokratische Partei bevorzugt oder benachteiligt wird.“

Außerdem heißt es unter Punkt 3 zu den Schülervertretungen:

„Die Schülervertretungen sind zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Die Veranstaltungen von Schülerräten, Klassenschülerschaften und ihren Arbeitsgemeinschaften dürfen nicht einseitig sein oder eine bestimmte politische Richtung bevorzugen.“

Beutelsbacher Konsens

Neben den rechtlichen Vorgaben hat sich insbesondere für den Politikunterricht der sogenannte „Beutelsbacher Konsens“ etabliert. Bei diesem „Konsens“ handelt es sich um eine schriftliche Zusammenfassung einer Tagung von Politikdidaktikern aus dem Herbst 1976 in Beutelsbach, einem Ort in Baden-Württemberg. Darin wurden drei Prinzipien festgelegt, die für den Politikunterricht an den Schulen sowie in der politischen Bildung als konstitutiv gelten und u. a. auch in den Kerncurricula für das Unterrichtsfach Politik/Wirtschaft Anwendung finden:

  1. Indoktrinationsverbot (Überwältigungsverbot)
    Lehrende dürfen Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen. Schüler sollen sich mithilfe des Unterrichtes eine eigenständige Meinung/ein eigenes politisches Urteil bilden können.
  2. Kontroversitätsgebot (Ausgewogenheit)
    Der Lehrende muss ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren, wenn es in Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft kontrovers erscheint. Dazu gehört auch, homogen orientierte Lerngruppen gezielt mit Gegenpositionen zu konfrontieren.
  3. Schülerorientierungsgebot
    Politische Bildung muss Schüler in die Lage versetzen, die politische Situation der Gesellschaft und ihre eigene Position zu analysieren und daraus für sich Konsequenzen zu ziehen.

Der Beutelsbacher Konsens fordert somit, dass sich die Schüler im Unterricht kontrovers und kritisch mit den Positionen von Parteien auseinandersetzen. Diese kritische Auseinandersetzung schließt selbstverständlich die Auseinandersetzung mit Positionen der AfD ein.

Beutelsbacher Konsens in den Kerncurricula

Verweise auf die Grundsätze des Beutelsbacher Konsens finden sich explizit in den Kerncurricula für das Fach Politik-Wirtschaft der Schulformen Gymnasium und Gesamtschule:

  1. Gymnasium, Sek. I: S. 5, 5. Absatz
  2. Gymnasium und Gesamtschule, Sek. II: S. 6, 1. Absatz.

Hinweis: Die Kerncurricula für die Fächer Politik und Politik-Wirtschaft können unter der folgenden URL heruntergeladen werden:

https://cuvo.nibis.de/cuvo.php?p=search&k0_0=Dokumentenart&v0_0=Kerncurriculum&k0_1=Fach&v0_1=Politik&

Die Kerncurricula sind insofern wesentlich, da der Politik/Wirtschaft-Unterricht für die politische Bildung seitens der Schule maßgeblich ist. Der Unterricht ist damit direkt auf den Beutelsbacher Konsens durch das KC verpflichtet. Jeder Lehrer muss seinen Unterricht danach gestalten, d.h. er ist hier gebunden.

Politische Werbung an Schulen

Eine weitere Rechtsvorschrift regelt den Bereich der Parteien-Werbung an Schulen:

In dem über „Wirtschaftliche Betätigung, Werbung, Informationen, Bekanntmachungen und Sammlungen in Schulen sowie Zuwendungen für Schulen“ RdErl. d. MK v. 1.12.2012 – 35.3 – 81 704 – VORIS 22410 ist hier anzuwenden wird ausgeführt:

„Werbung für wirtschaftliche, politische, religiöse, weltanschauliche oder sonstige Interessen sind in der Schule nur zulässig, wenn sie eindeutig dem Bildungsauftrag der Schule zuzurechnen sind und die jeweiligen rechtlichen Vorgaben beachtet werden.“

Dies zeigt, dass Werbung an Schulen für oder gegen eine Partei unzulässig ist.

Auch das Auslegen von Flugblättern, Broschüren usw. für oder gegen bestimmte Parteien „verstößt gegen die Neutralitätspflicht der Schule“. Auch ein Aufruf zur Teilnahme an politischen Demonstrationen unterliegt diesem Verbot.

Besuche von Politikern in öffentlichen Schulen

Bei Einladungen von Parteivertretern zu politischen Veranstaltungen an Schulen wird durch den bereits oben genannten Erlass „Besuche von Politikerinnen und Politikern in öffentlichen Schulen“ (RdErl. d. MK v. 21.10.2020 – 36.3-81 704 – VORIS 22410) geregelt.

Hier gilt es zu berücksichtigen, ob die Einladung von Lehrern, von Schülervertretungen oder von Schülergruppen ausgesprochen wird.

Grundsätzlich gilt, dass einzelne Parteien nicht bevorzugt oder benachteiligt werden dürfen, d. h., wenn beispielsweise Abgeordnete einer Partei eingeladen werden, ist darauf zu achten, dass im folgenden auch andere Parteien gleichermaßen berücksichtigt werden.

Mäßigungsgebot für Beamte und Tarifbeschäftigte

Lehrer dürfen sich als Beamte oder Tarifangestellte nur eingeschränkt politisch betätigen. Das sogenannte „Mäßigungsgebot“ ergibt sich für Beamte aus dem Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und gilt für Tarifbeschäftigte des öffentlichen Dienstes sinngemäß. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes müssen jeder verfassungsmäßigen Regierung zur Verfügung stehen. Im Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) heißt es:

„(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. […]

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.“

Damit ist durch das Beamtenstatusgesetz geregelt, dass Lehrer, die in der Regel verbeamtet sind, sich im Unterricht politisch zurückhalten müssen und diesen nicht als Forum für ihre politischen Überzeugungen nutzen dürfen. Zwar ist die Darstellung der eigenen Meinung auch zu politischen Sachverhalten nicht grundsätzlich untersagt, aber diese Meinungsäußerung ist als solche zu kennzeichnen, und es gilt das Mäßigungsgebot sowie der Beutelsbacher Konsens.